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Volle Büros, volle Tierheime

Während der Pandemie entschieden sich viele Menschen für ein Haustier. Unsere treuen Begleiter sollten über die Einsamkeit hinweg helfen. Nun hat sich der Alltag wieder normalisiert. Zurück bleiben unsere vierbeinigen Freunde und Tierheime, die an ihre Kapazitätsgrenzen stossen.

Es liegt ein leichter Heugeruch in der Luft. Zwei Kanarienvögel zwitschern vergnügt. Dumpfes Hundegebell ist durch verschlossene Türen zu hören. Inmitten des hell erleuchteten Raums steht ein Tresen. Auf diesem befindet sich eine kleine, durchsichtige Schale. Dem ersten Impuls folgend greift man rein und schnappt sich ein Bonbon. Kurzes Stirnrunzeln – Hunde Trockenfutter. «Für unsere tierischen Gäste». Willkommen im Tierheim Nesslau.

Tierheim und Tierklinik Nesslau (Quelle: Jennifer Kern/toxic.fm)

Eigene Freiheit vor Hund

In der Pandemiezeit entschieden sich viele für ein Haustier. Gründe gab es: Die Menschen vermissten den Austausch zu ihrem Umfeld und hatten wegen den diversen Einschränkungen mehr Zeit. Häufig entschieden sich die Leute für einen Hund. Doch nun ist der Vor-Pandemie-Stress zurück. Die Leute arbeiten wieder vermehrt vor Ort im Büro und haben Nachholbedarf: Freizeitaktivitäten, Events, reisen. Zurückbleiben die Hunde. Sie werden ausgesetzt oder unter fragwürdigen Begründungen im Heim abgegeben. In den Tierheimen leben immer mehr Hunde auf engerem Raum.

Einseitige Auslastung

Nina Weibel, Tierpflegerin in Ausbildung, steht hinter dem Tresen. Sie hat einen offenen, neugierigen Blick und auf den Lippen ein schüchternes Lächeln. Ihre blauen Augen sind von langen Wimpern umrandet. «Es ist spürbar, dass sich die Hundebesitzer im Vorfeld nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Sie haben sich willkürlich für einen Hund entschieden. Ohne Vorkenntnis zur Rasse und deren Bedürfnissen», erzählt Nina. Den Leuten sei nicht bewusst, wie viel Zeit und Arbeit die Aufnahme eines Hundes bedeutet. Die Lernende führt zu einem etwas weiter hinten liegenden Raum. «Das ist unser Katzenzimmer.» Der Raum ist voller Katzenbäume, kuschligen Nischen und von einem warmen Licht durchflutet. «Im Tierheim Nesslau haben wir noch genügend Kapazität um weiteren Katzen aufzunehmen. Anders bei den Hunden. Dort stossen wir an unsere Grenzen,» erklärt Nina Weibel.

Für Hunde haben Tierheime kaum mehr Kapazität (Quelle: Jennifer Kern/toxic.fm)

Besitzer mit Listenhunden überfordert

Seit Ende der Pandemie befinden sich mehr Listenhunde (z. B. Bull Terrier, Rottweiler und Dobermann) in den Tierheimen. Gerade bei diesen Rassen müssen sich angehende Besitzer noch differenzierter informieren. Für Listenhunde gelten in der Schweiz je nach Kanton andere Bestimmungen. Diese definieren, unter welchen Umständen die Haltung bewilligt wird und welche zusätzlichen Vorschriften, beispielsweise Tragen eines Maulkorbes, gelten. Den einzelnen Hunderassen werden auch gewisse Charakterzüge zugewiesen. So gelten Listenhunde als eher unbeständig und launenhaft. Dies erfordert ein noch intensiveres Training. Viele Besitzer sind mit dieser Situation überfordert. Die Hunde landen kurzerhand im Tierheim.

Vermehrt Listenhunde in Tierheimen (Quelle: pexels.com)

Auf immer engerem Raum

Im nächsten Raum schlägt die Atmosphäre augenblicklich um. Der Lärmpegel steigt, ein Schwall aus Hundegebell empfängt den Besucher. An beiden Seiten des Raumes befinden sich Hundezwinger. Pro Zwinger sind zwei Hunde untergebracht. «Normalerweise befindet sich ein Hund in einem Zwinger. Wegen der aktuellen Auslastung mussten wir diese Massnahme ergreifen», erklärt Weibel. Für die Hunde sei dies ein grösserer Stressfaktor. Die Tiere wirken angespannter. Das ist auch im Raum merklich spürbar. «Seit Ende der Pandemie gibt es einen regelrechten Ansturm auf die Tierheime. In der Agglomeration ist dies noch stärker zu beobachten.»

Welpen-Phänomen

Neben Listenhunde befinden sich vermehrt Jungtiere in den Heimen. Ein Phänomen, welches erst seit Ende der Pandemie zu beobachten ist. Auch weisen immer mehr Hunde Verhaltensauffälligkeiten auf. Während der Pandemie wurden zeitweise keine Hundetrainings angeboten. Besonders der Austausch und Umgang unter den Hunden konnte nicht ideal geschult werden. Die Verhaltensauffälligkeiten sind eine weiter (unbeliebte) Belastung für die Besitzer und für sie ein zusätzlicher Grund ihren Hund wieder abzugeben.

Nina Weibel mit Terrier-Mischling Max (Quelle: Jennifer Kern/toxic.fm)

Hunde litten unter Einsamkeit

Nina Weibel steht im Sonnenlicht, wenige Schritte neben dem Tierheim Nesslau. An der Leine führt sie Max, ein etwa 4-jähriger Terrier-Mischling. Er hat einen etwas verschlafenen Blick und hellbraunes Fell. «Max sucht auch noch ein neues Zuhause», informiert die Lernende. Einen Appell hat Nina an zukünftige Hundebesitzer: «Auch wenn der Hund bereits ein- oder zweijährig ist, sollte man darauf achten, dass er sich sozialisieren kann. Die Besitzer sollten bewusst an Orte gehen, wo andere Hunde anzutreffen sind. Nicht nur wir Menschen haben den sozialen Kontakt vermisst.»

Jennifer Kern, 14.04.2022