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Dürfen Politikerinnen Dekolleté zeigen?

«Kleider machen Leute».  Das Textilmuseum in St.Gallen zeigt aktuell Kostüme und Accessoires einflussreicher Frauen. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen 50 Objekte, von 1600 bis heute, welche den weiblichen Machtanspruch repräsentieren. Dabei vertreten sind beispielsweise die First Lady Jacky Kennedy, Schweizer Politikerinnen wie Elisabeth Kopp oder Doris Leuthard, welche ausgewählte Kleidungsstücke aus ihrem privaten Fundus zur Verfügung gestellt haben. 

«Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere». Beim Betreten des Museums stechen einem die in rot geschriebenen Worte der französischen Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir ins Auge. Angela Merkel oder Michelle Calmy-Rey wechseln auf einer menschengrossen Leinwand im Sekundentakt ihre Kleider. Hinter der ganzen Ausstellung stecken viele verschiedene Themen ohne chronologische Abfolge. Die Kleider der Frauen werden in sechs speziell thematisierten Partien aufgezeigt. «Robes politiques – Frauen Macht Mode», kann man vom 19. März 2021 bis einschliesslich 6. Februar 2022 noch unter die Lupe nehmen.

Hinter jeder Kleidung steckt Strategie

Eine herzliche Dame informiert die Besucher und Besucherinnen am Empfang über die Ausstellung. Alle Wände sind mit Botschaften und Aussagen bekannter Frauen verziert. Im obersten Stock führt ein roter Teppich in den ersten Raum – ein Hauch von Hollywood. Dort steht ein Ballkleid aus wertvoller Spitze der letzten Kaiserin Frankreichs, Eugénie de Montijo. Die kostbare Seide und Spitzen unterstreichen den Rang der jungen Herrscherin. Zugleich kaschieren sie ihre Herkunft, welche nicht von königlichem Geblüt ist. «Auch in der Vergangenheit war die Kleidung der Herrschenden keine Privatangelegenheit», so die Co-Kuratorin Claudia Schmid. Nicht zu übersehen ist auch das sogenannte weisse «Lochkleid» der Modemarke Akris, welches die ehemalige Bundesrätin Doris Leuthard bei der Eröffnung 2016 des Gotthard-Basistunnel trug. Dieses Kleid wurde bewusst gewählt, es dient als symbolischer Botschaftsträger.

Die Medien über die Kleidung der Frau

Eher ernst sieht es im nächsten Raum aus. Die Garderobe politisch einflussreicher Frauen wurde in der Vergangenheit als auch heute nicht als Privatangelegenheit, sondern als ein Thema von allgemeinen Belang behandelt. Es hagelt bis heute immer wieder Kritik für die Kleiderwahl der Frauen. Aber nicht nur Textilien stehen im Fokus.Das Spannungsfeld zwischen Weiblichkeit, Machtposition und Idealisierung wird durch Fotografien, Bilder und Videos noch mehr verdeutlicht. «Dass dieses Abendkleid, eine Neukomposition, ein Neuarrangement aus dem Bestand der Bundeskanzlerin, für Furore gesorgt hat, lag nicht in der Absicht der Bundeskanzlerin», so steht es auf dem in gelb leuchtende Plakat mit Angela Merkel.  Die deutsche Bundeskanzlerin wich bei der Eröffnung der Osloer Oper von ihrem eigentlichen Stil ab, so entbrannte eine riesige Diskussion über ihr Dekolleté.

Vorurteile haben wir immer

Schnell fällt auf, dass die Ausstellung nicht nur weibliche Besucher zählt. Beim Durchschreiten der Räume trifft man auf mehrere männliche Besucher. Es ist nicht so ganz klar, ob sie von der Ehefrau gezwungen wurden, diese Ausstellung anzuschauen oder sie sich selbst für die Frauenbewegung interessieren. Von oben bis unten kunterbunt bekleidet meint ein Herr: «Auch Männer sollen akzeptieren, wie sich Frauen kleiden, egal ob in der Politik oder privat. Das ist wichtig in der heutigen Zeit. Viel zu wenige haben das realisiert.»  Die Ausstellung findet nämlich anlässlich und in Kooperation «50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht – Ausstellungen und mehr» statt. «Es ist ein unglaublich facettenreiches Thema. Historische Dimensionen, Fragen zu Frauenrechten und gleichzeitig ein Stück Modegeschichte», erzählt die Kuratorin Annina Weber.

An die Urnen – Los!

Beim Schlendern durch die Gänge des Museums fällt auf, dass in jedem Raum graue, rechteckige Kästen stehen. Es handelt sich dabei um Abstimmungsurnen. «Berichten die Medien Ihrer Meinung nach zu viel über die Äusserlichkeiten von Politiker/innen?» oder «Darf ein(e) Politiker/in anhand ihrer Kleidung zeigen, dass sie gut verdient?». Fragen welche man schriftlich mit Ja oder Nein beantworten darf.

Die Abstimmungsurne Bildquelle: Célina Streun, toxic.fm
Célina Streun, 26.03.3021