Bildquelle: toxic.fm / Leonie Herde
Das Stück «Gott» im Theater St.Gallen behandelt das Thema selbstbestimmter Tod. Dabei wird auch das Publikum in die Diskussion miteinbezogen. Ist es richtig, einer gesunden Frau beim Suizid zu helfen?
Elisabeth Gärtner will sterben. Sie ist bei guter Gesundheit und leidet auch nicht an Schmerzen. Seit dem Tod ihres Partners kann sie sich jedoch nicht mehr am Leben erfreuen. Sie bittet ihre Ärztin um das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital, das auch in der Sterbehilfe eingesetzt wird. Die Ärztin will Frau Gärtner aber diesen Wunsch nicht erfüllen. Sie findet es nicht richtig, einer gesunden Frau beim Sterben zu helfen. Der Fall wird in einem Ethikrat diskutiert. Dabei werden ethisch-moralische Fragen aufgeworfen: Dürfen Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten? Wem gehört unser Leben? Spielt es eine Rolle, ob die sterbewillige Person alt oder jung, gesund oder unheilbar krank ist?
Anpassung an Schweizer Recht
Das Stück von Ferdinand Schirach musste für die Inszenierung in St.Gallen ans Schweizer Recht angepasst werden. Die Sterbehilfe in der Schweiz ist gesetzlich erlaubt und in der Gesellschaft akzeptierter als in Deutschland. Die Rolle der Juristin, die in der St.Galler Version von der Uni Zürich kommt, musste deshalb neu geschrieben werden. Das Publikum erfährt so einiges über die Praxis der Sterbehilfe. Ausserdem lassen die verschiedenen Argumente auch diejenigen zweifeln, die eine klare Meinung zum Thema selbstbestimmter Tod zu haben glauben. Als Sachverständige im Ethikrat werden neben einer Juristin auch ein Vertreter des Ärzteverbandes und ein Priester eingeladen. Beide sind vehement gegen die Beihilfe zum Suizid. Im Schlagabtausch mit dem Anwalt von Elisabeth Gärtner versuchen sie Ihre Argumente durchzusetzen.
Das Publikum entscheidet
Gegen Ende des Stücks, spricht die Vorsitzende des Ethikrates das Publikum direkt an: «Wie würden Sie entscheiden?» Das ganze Publikum wird in den Ethikrat miteinbezogen und soll eine Entscheidung fällen. Die abschliessenden Reden des Anwalts von Frau Gärtner und dem befragten Mediziner wirken wie Schlussplädoyers im Gerichtssaal. Das Publikum wird zu den Geschworenen. Wie zur Verstärkung wird langsam das Saallicht aufgedreht und das Publikum beginnt leise zu tuscheln. Schliesslich stimmt das St.Galler Publikum an der Premiere mit 62 % für einen selbstbestimmten Tod von Frau Gärtner.
Die Schauspielerin Heidi Maria Glössner hat zum Thema selbstbestimmter Tod eine klare Meinung: «Ich finde wir haben ein Recht auf unser eigenes Leben, aber genauso haben wir ein Recht auf unseren eigenen Tod.» Sie spielt Elisabeth Gärtner und kann sich sehr gut in die Rolle hineinversetzen. Die Resultate aller Aufführungen und auch aller anderen Inszenierungen im In- und Ausland werden auf der Webseite gott.theater aufgeschaltet. Bis jetzt (Stand: 21.12.2023) finden 61,7 % aller Zuschauenden, dass Frau Gärtner das tödliche Medikament erhalten soll. Im Theater St.Gallen wird das Stück «Gott» noch neun Mal bis im nächsten März aufgeführt.
Leonie Herde, 21.12.2023