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Der letzte Begleiter der Toten

Die wenigstens werden während der Arbeit von einem Schädel angegrinst. Für René Giger gehört’s zu seinem Alltag als Totengräber dazu. Der 37-jährige Unterterzer erledigt diese Arbeit seit über zehn Jahren, aber kennt sie schon von Kindesbeinen an.

«Beim Ausheben eines Grabes kommt es häufig vor, dass Menschenknochen hervorkommen. Die lege ich erst einmal beiseite. Während der Beisetzung des neuen Leichnams lege ich die alten Knochen wieder mit ins Grab», sagt René Giger aus Unterterzen am Walensee. Der mit Käppi und Schnauz bekannte Landwirt erlaubt sich den einen oder anderen flotten Spruch, verrichtet seine Arbeit als Totengräber aber sehr gewissenhaft. So achtet er mit Argusaugen auf die Reihenfolge bei den Blumengestecken. Der Blumenkranz des Partners oder der Kinder steht neben dem Kreuz beim Grab und die restlichen Blumengestecke ordentlich der Grösse nach daneben. Ist das Grab fertig vorbereitet fährt er mit zwei Hilfstotengräbern den Sarg per Wägeli zum Grab. Erdbestattungen kommen jedoch immer weniger vor, eine Urnenbeisetzung ist mittlerweile eher das gewohnte Bild. Nach der Zeremonie am offenen Grab, gehen die Angehörigen an den Gottesdient und Giger lässt während dieser Zeit den Sarg an Seilen ins Grab nieder.

Wegen der schönen Aussicht haben sich auch schon Leute extra hier beerdigen lassen. Bild: Andrea Vieira / toxic.fm

Nur einmal hat er die Schaufel liegen gelassen

Dem gestandenen Mann schlagen die Bestattungen nicht aufs Gemüt: «Wenn es mich belasten würde, wäre es das falsche für mich.» Beim Sprechen mit den Angehörigen, schaut er darauf, dass es nicht nur um den Tod geht: «Man kennt sich im Dorf und ich finde immer etwas worüber ich sprechen kann.» Als er aber von seinem Vater Abschied nehmen musste, konnte er die Schaufel nicht in die Hand nehmen. «Es wäre zu viel des Guten gewesen, ich hatte sonst schon mit meiner Gefühlslage zu tun», sagt Giger. Die letzte Ehre erwies er einem seiner guten Freunde als Totengräber: «Für ihn wollte ich es machen. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und ich wollte, dass alles mit rechten Dingen zu und her geht.»

Die Totengräber-Familie

Im Schnitt muss der 37-Jährige bis zu 25 Gräber im Jahr ausheben, dieses Jahr waren es nur drei. «Vielleicht haben die Leute vor Corona zu sehr Angst und sterben deshalb nicht», sagt Giger und muss lächeln. Seit 13 Jahren ist er Totengräber für die Gemeinde Quarten. Im Sarganserland und Werdenberg ist er noch der Einzige seiner Art. In den anderen Gemeinden übernehmen die Werkhofmitarbeiter das Ausheben der Gräber. «Die Tätigkeit erfordert eine flexible Arbeitsstelle. Zum Beispiel klingelt am Montag das Telefon, dass am Donnerstag eine Beerdigung ist», erklärt sich der Landwirt die Situation. Für ihn gehört der Umgang mit dem Tod quasi zur Familiengeschichte. «Ich spielte auf dem Friedhof während dessen mein Vater ein Grab ausgehoben hat oder ich schaute ihm zu», erzählt Giger. Ab seinem 13. Lebensjahr habe er dann auch mal die Schaufel in die Hand genommen und seine ersten Gräber ausgehoben, so der Unterterzer. Es kann gut sein, dass der Totengräber für die nächste Generation in Quarten gesichert ist. Gigers vierjähriges Töchterchen ist ebenfalls bereits beim Grabausheben dabei. «Ich sehe es als zusätzliche Gemeinsame Zeit, die ich mit ihr verbringen kann», sagt Giger. Er sieht keinen Grund als Totengräber aufzuhören, es gehört für ihn dazu.

Andrea Vieira, 24.07.2020